ZTM Inter­view

Drei Fragen an Dr. Volker Steinecke

Der Gesund­heits­verbund Land­kreis Konstanz ist der größte Gesund­heits­versorger in der Region West­licher Boden­see. Seine Klinik­standorte Singen, Radolf­zell und Konstanz bekommen monatlich insgesamt mehr als 1.000 tele­medizinische Vor­an­meldungen durch den Rettungs­dienst. Hier­für setzen sie das System „NIDAklinik“ ein. Dr. Volker Steinecke, Not­auf­nahme-Chefarzt der Hegau-Bodensee-Kliniken Singen und Radolf­zell, spricht im Inter­view über die bis­herigen Er­fahrungen mit „NIDAklinik".

NetzWerk: Seit April 2021 nutzen Sie „NIDAklinik" in Ihren Not­auf­nahmen. Wie lautet Ihr aktuelles Fazit? Dr. Volker Steinecke: Etwas Neues zu etablieren, bringt immer einen gewissen Auf­wand mit sich. In diesem Fall hat sich das definitiv gelohnt. Das beginnt schon mit den An­rufen, die früher auch oft bei nicht not­fälligen Patienten kamen und Ressour­cen gebunden haben. Diese Anrufe sind stark zurück­ge­gangen. Zudem erreichen wir durch das System eine Plan­bar­keit von an­sonsten nicht plan­baren Situationen. Das betrifft etwa infektiöse Er­krankungen, die eine Isolation erfordern wie Magen-Darm-Infekte mit hoch­an­stecken­den Keimen, Be­siede­lungen mit isolations­pflichtigen Problem­keimen oder auch Patienten mit dem Ver­dacht auf eine Covid-Erkrankung. Früher stand da, über­spitzt gesagt, plötzlich ein ver­mummter Rettungs­dienst-Mitarbeiter vor der Tür. Heute haben wir früh­zeitig die Infor­mation, dass wir z. B. in 15 Minuten einen Isolations­raum benötigen und können alles Notwendige in die Wege leiten. Das reduziert Stress und ent­zerrt die räumliche Situation in der dauer­haft über­belegten Not­auf­nahme ein wenig. Medizinisch sehr wichtig ist außer­dem die frühe An­meldung der Schlag­anfall­patienten. Der „4iss“ (4-Item-Stroke-Scale) – ein System zur Ein­ordnung der Schlag­anfall-Schwere – wird bereits durch den Rettungs­dienst er­hoben und über­mittelt, ebenso der Be­schwerde­beginn. Unsere Neuro­logen können dadurch einordnen, ob eine Lyse an­gezeigt ist. Wenn ja, wird der Patient direkt in den Schock­raum gebracht, was Zeit spart und eine struk­turier­tere Schock­raum­versorgung ermöglicht. Da­durch konnten wir die Lyse­zeit, vor allem im Zeit­fenster bis 30 Minuten, deutlich ver­bessern – mit einem entsprechend besseren Outcome für die Patienten.

NetzWerk: Ihre Region ist recht ländlich geprägt. War das ein Argument für die Nutzung des Systems „NIDAklinik“? Dr. Volker Steinecke: Die Hauptschwierigkeit besteht für uns darin, dass wir im Landkreis mit mehreren Rettungsdienst-Organisationen zusammenarbeiten. Bis heute sind nicht alle Organisationen mit im Boot, weil wir nicht alle davon überzeugen konnten, die für die Anbindung nötigen Tablets anzuschaffen. Hier wäre es in meinen Augen hilfreich, wenn die Politik Vorgaben bezüglich der Einheitlichkeit der Systeme machen würde. Die Ländlichkeit an sich ist kein Problem, aber die Nähe zur schweizerischen Staatsgrenze bringt es mit sich, dass in einigen Regionen das Mobilfunknetz deutlich schwächer ist. Das merken wir insbesondere, wenn größere Datenmengen übermittelt werden, z. B. ein EKG bei Herzinfarktpatienten. Auch hier wird der Faktor Zeit extrem positiv beeinflusst, wenn der Kardiologe schon vor Ankunft des Patienten abschätzen kann, ob dieser direkt ins Herzkatheterlabor gebracht werden muss oder erst die Notaufnahme angesteuert werden kann. Durch die Funklöcher kommt es leider manchmal vor, dass das Analoge das Digitale überholt und der Rettungs­wagen vor den EKG-Daten da ist. NetzWerk: Wie ist das Projekt bei Ihren Mit­arbeitern an­gekommen? Dr. Volker Steinecke: Die Mit­arbeiter, die dauer­haft in der Not­auf­nahme beschäftigt sind, fanden es von Anfang an super. An­sonsten war bei manchen eine an­fäng­liche Skepsis zu spüren, die aber bald gewichen ist. Inzwischen ist das System sehr gut etabliert und akzeptiert. Der „NIDAtracker“ wurde teil­weise auch auf den Intensiv­stationen installiert. Dadurch können die Mitarbeiter sich nicht nur darauf ein­stellen, dass ein Patient kommt, sondern bereits ab­schätzen, wie lange er voraus­sichtlich bleiben wird. So lässt sich beispiels­weise der Personal­ein­satz besser steuern. Durch die elek­tro­nisch über­tragenen Einsatz­proto­kolle wird außerdem die Doku­mentation ver­bessert und erleichtert.

Dr. Volker Steinecke Notaufnahme-Chefarzt der Hegau-Bodensee-Kliniken Singen und Radolfzell